Petra Frey

Was geschieht, wenn Licht in einem nahezu dunklen Raum auf Glas trifft? – Die Malerei nähert sich dieser Frage seit 2009.
Im Grenzbereich der Dämmerung werden Momente beobachtet, in denen der Gegenstand aus Glas oder seine Bruchstücke kaum noch wahrnehmbar sind, während Lichtreflexionen auf ihm, beinahe losgelöst von ihm, ein Eigenleben zu führen scheinen. Bei der Betrachtung des im Halbdunkel ungewiss werdenden Objekts scheint die Malerei in andere Bereiche außerhalb des Glases zu geraten, in andere Realitäten zu gleiten. Sie arbeitet mit einer Wahrnehmung, die sich selbst immer wieder unterläuft, indem sie auf andere Sichtweisen anspielt. Die Malerei tastet sich heran an Spuren von Licht, die sich in der Dunkelheit im Glas fangen, erspürt Momente, in denen es kontrastierend auf das umgebende Schwarz trifft, sich verliert oder verschwimmt. Sie thematisiert einen Grenzbereich, in dem das reale Motiv der Wahrnehmung entgleitet, unscharf wird. Das Glas in seiner Materialität scheint zu verschwinden und einem immateriellen Lichtspiel Raum zu geben, das sich von ihm trennt und verselbständigt.
Im Prozess der Malerei werden erste visuelle Eindrücke jetzt zunächst fotografisch eingefangen. Diese Notizen sind Annäherungen an Gebilde mit eigenen Strukturen und Formen, die so in der Realität nicht vorhanden sind und sich allenfalls erahnen lassen. Beim Blick in den Splitter, in seine Spiegelungen arbeitet sie sich mit ihren Mitteln der Betonung und Herausarbeitung von Bildelementen gleichsam in andere Bereiche hinein. Sie gestaltet sich als ein Weg der Bildfindung, in welcher die Leinwand während des Arbeitsprozesses mehrfach gedreht wird, ihr so mehrere Perspektiven eingeschrieben werden. Die Malerei als Prozess scheint vor ihrem Motiv autonom zu werden und zeigt doch gleichzeitig fließendes Licht, das an das langsame Fließen beim Entstehen von Glas erinnert.
Im Triptychon der Installation von 2012 thematisiert die Malerei das fast schmerzliche Aufeinandertreffen von Hell und Dunkel, die Dramatik des Vergehens. Licht und Schatten fächern sich auf, reißen und formieren sich in den Arbeiten von 2013/2014 zu filigranen Gespinsten; scheinen in den aktuellen Bildern beinahe Gewebe zu sein, durch deren dunkle skelettähnliche Bänder Helligkeit fließt.
Das dramatische Licht-Schatten-Spiel lässt innere Glasbilder in den Betrachtenden entstehen, die Fragilität, Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit thematisieren und gleichzeitig Räume voll Geheimnis eröffnen.
Petra Frey 2015
Die Malerei beobachtet Lichtspuren, die sich über Glas, über seine Bruchkanten bewegen und oft nur einen Augenblick sichtbar sind.
Glas ist in seiner Klarheit und Transparenz durchlässig für das Außen. Traditionell war es in der Kunstgeschichte häufig die unmittelbare Umgebung, die sich in ihm spiegelte. Realität wird in den vorliegenden Arbeiten nicht in dieser Weise eingefangen. Das Gefäß oder seine Scherben interessieren als Träger des Lichts oder seiner Brechungen. Das Lichtspiel, das in den Flächen, Kanten oder in den Einkerbungen der Schnittfläche geschieht, wird durch extreme Ausschnittsvergrößerungen, Spiegelungen und das Herausarbeiten angedeuteter Farbspuren sichtbar gemacht. Die feinen, beinahe verschwindenden Linien des Lichts, seine Reflexe und die Spuren, die es in der Spiegelebene hinterlässt, werden „realer“ als der Bildgegenstand. Die Flüchtigkeit und Bewegtheit der relativ kleinen Lichtreflexe, veränderlich nicht nur im Lauf des Tages, sondern auch mit jeder Körperbewegung beim Malprozess, sind Herausforderung, führen aber auch immer wieder an Grenzpunkte, an denen Malerei kaum noch möglich ist.
Das Öl, reduziert auf Mischungen von Blau, Orange und Weiß, wird in feinen Schichten auf die Leinwand aufgetragen bis sich aus dem Zusammenwirken der Nachbarfarben minimale farbliche Differenzierungen entwickeln. So wie sich Licht und Schatten im Lauf des Tages verändern, wechseln die Grau-Blau-Abstufungen und erzeugen unterschiedliche Nuancen. Die glatte Oberfläche der Malerei lässt das Glas, von dem sie ausging, erinnern.
In der Serie „Schattengrenze“ aus den Jahren 2004/2005 spielt Licht sich in dunkle Bereiche hinein, durchbricht diese filigran oder löst sie auf. Helles und Dunkles kann hart nebeneinander liegen und scharfe Konturen oder spannungsvolle Grenzen erzeugen; Licht und Schatten können sich aber auch durchdringen, sich gegenseitig auflösen, in einander fließen oder aufbrechen. Die Bildkomposition beruht auf wenigen Elementen, Flächensegmenten und Linienführungen, die eine Dynamik erhalten, indem sie sich in unterschiedlichen Richtungen aus dem Bild herausbewegen. Abstrakte, monochrom blau-graue Landschaften aus Eis lassen sich assoziieren. Brüche, Grenzsituationen klingen in den einzelnen Bildern an und auch in ihrem Zusammentreffen.
In den Arbeiten „Ohne Titel“ von 2006/2007 und 2007/2008 durchschneiden harte, schräge Linien die Leinwand. In hellem oder gebrochenem Weiß fließen sie über einen dunklen Grund, fächern ihn in nuancierte Farbtöne auf. Sanfte Übergänge und Schwünge formieren sich zwischen ihnen und lassen weiche Bewegungen entstehen. Über die Bildfläche hinaus gesehen können sich die Lichtstrahlen im Unendlichen treffen. Beinahe rhythmisch wechseln sie zwischen Hell und Dunkel. Transparente Schleier oder Folien scheinen sich zwischen den Linien aufzuspannen und hinter ihnen liegende unbegrenzte Räume zu öffnen und gleichzeitig zu verbergen.
Petra Frey, "Katalog Gabriele-Münter-Preis 2010"